Townes van Zandt
1995
im Hinterhalt


 
 

Setlist:
01. Still looking for you
02. Loretta
03. Dollar Bill Blues
04. Blaze's Blues
05. Katie Belle Blue MP3-File
06. Lungs
07. Tecumseh Valley
08. Short-haired Woman Blues
09. To live is to fly
10. Pancho and Lefty
11. Waitin' around to die
12. A song for
13. Ain't leavin' your love
14. Backskin Stallion Blues
15. If I needed you
16. High, Low and In Between
17. Snake Mountain Blues
18. Blue Wind Blew
19. The Hole
20. Snowin' on Raton MP3-File
21. You are not needed now
22. You win again
23. White Freightliner Blues
24. Cafish Song


Gruppentherapie mit Blues

Im Hinterhalt Gelting: Das Konzert der Folk-Legende Townes Van Zandt

Gelting - Keine Ahnung, wo sie es aufgeschnappt hatten, dass Townes Van Zandt nach Gelting kommen sollte. Aber sie waren da, seine Getreuen, von denen man sagt, sie würden ihn so ungern teilen. Von überall sind sie ihm gefolgt, aus München, Altötting und aus Berlin. Und so zeitig waren sie gekommen, dass sie gleich die besten Parkplatze vor dem Hinterhalt weggeschnappt hatten. Im dunklen, vollgepackten Kleinkunstkeller erkannte man die echten Fans ganz leicht. Schon nach den ersten zwei, drei Takten eines jeden Liedes jubilierten sie allwissend. Zudem gehen ihre Englischkenntnisse offenbar meilenweit über das primitive Schul-Oxford hinaus. Denn jeden noch so vernuschelten Gag des Meisters feierten sie lautstark und schauten dabei herausfordernd in die Runde, ganz so, als wollten sie dem Rest des Publikums bedeuten: Was seid ihr doch alle doof.

Entschuldigung, Townes Van Zandt ist für alle da. Man wird doch wohl noch neugierig sein dürfen und schauen, ob das alles stimmt, was da so über den Folk-, Blues- und Countrybarden verbreitet wird. Er sei der grösste aller Liedermacher, sagt man, noch grösser als Bob Dylan. Bob Dylan, der drei Jahre älter und um etliches reicher ist, singt träumerische Balladen fur eine bessere, friedliche Erde. Townes Van Zandts elegische Musik klingt zum Teil so ähnlich. Er aber spielt, um seine eigene, einsame Welt zu ertragen, um seinen persönlichen Frieden zu finden. Denn immer wenn er seine Gitarre weglegt, fängt die Misere an. Dann weiss er nicht, was er tun konnte und langweilt sich schrecklich. Er hat sich auf der Strasse herumgetrieben. Er hat es mit Alkohol versucht und mit Glücksspiel. Alles war trübe. Er ist Sommer für Sommer in die Rocky Mountains geritten, um allein zu sein mit seinen schweren Gedanken und um zu ergründen, warum er kein Strahlemann ist.

Sein Vater war reich, was blast der Mann Trübsal, könnte man sagen - und hatte gar nichts verstanden. Van Zandt wäre gern fröhlich, das zeigt seine lockere Art beim Konzert, das zeigt seine Art, die miserable Arbeit des Mischers hinzunehmen. Aber er ist traurig. Alle Grossen waren so, meint Van Zandt: B. B. King, Lightning Hopkins und Van Gogh auch. Sie alle haben den Blues gehabt, so klischeehaft das auch klingen mag.

Also stellt sich Van Zandt auf die Bühne, um sich zu therapieren. Und sein Publikum liegt mit auf der Couch. Denn wer zu ihm hält, der fühlt sich wie er, zumindest ein bisschen. Er singt von seinem Leben, und das ist kein verträumter Lagerfeuer-Blues, auch wenn sich die Bilder ähneln: billige Hotels, unendliche Highways, Wüste und die unerreichbare, einzige Frau. Bei Van Zandt aber ist das alles tatsächlich wahr: wenn er beispielsweise davon singt, dass ihm der Abschied von seinen Lieben jedesmal so schwer fällt, dass das traute Heim aber, so schön es ist, nicht glücklich macht. Denn „To live is to fly", mit allen Höhen und Tiefen. Van Zandt ist immer auf der Suche nach dem Seelenheil: „ Heaven is were you find it." Und er rät auch seinen Fans: “Schüttelt den Staub aus Euren Flügeln" - und ab die Post.

Dann singt er wunderschöne Liebeslieder, zum Beispiel „Jf I needed you", das sich die Country-Elfe Emmylou Harris und Don Williams geborgt und ganz an die Spitze der Charts gebracht haben. Auch “Pan-cho and Lefty" ist berühmt geworden, allerdings nicht durch den Verfasser selbst, sondern durch Willie Nelson. Dabei singt Van Zandt die Nummer von den beiden Herumtreibern viel ehrlicher, nicht so tranig und geschniegelt. Ein Geschäftsmann war er aber noch nie. So hat er den grossen Ruhm verspielt.

Genauso interessant wie er ist sein Gitarrenspiel: beim ersten Hinhören sehr schlicht und eingängig, aber unter der Oberfläche äusserst facettenreich: wechselnd die Stimmung, fein der Rhythmus, wobei Van Zandt Basslinie und Melodie gleichzeitig zupft.

Jede seiner Geschichten spielt er anders, mal aufgedreht, meist aber einfühlsam. So wie bei seinem kuscheligen Schlaflied “No Deeper Blue", das er für seine dreijährige Tochter geschrieben hat. Der Text ist tröstlich und liebevoll. Da merken die ergriffenen Zuhörer, dass auch Van Zandt glücklich sein kann. Immerhin singt er in einem seiner Lieder, dass jetzt Schluss sei mit dem Rumtreiben. Es gebe keinen Platz, wo er nicht schon war; und für Fremde habe keiner ein liebes Wort übrig. “This time I'm going home." 

MICHAEL ZIRNSTEIN
SZ, Feuilleton - 03-08-95


Traurig, rabenschwarz und gut

Weltstar Townes Van Zandt gastiert im Geltinger "Hinterhalt" - Ausverkauftes Haus

Gelting /att) - Er war da. Im Geltinger Hinterhalt. Townes van Zandt - ein Weltstar, dessen Songs immer nur anderen Erfolg gebracht haben. Am Montag sang er selbst, und das Publikum erkannte Klasse, wo Klasse ist. Der Laden war so voll, daß an der Bar noch nicht einmal mehr ein Hawaii-Toast zwischen die Leute gepaßt hätte.

Als Vorgruppe kamen ein paar erdige Jungs auf die Bühne, die zeigten, daß es sich in den Übungskellern Bayerns auch ganz nett depressiv sein läßt. Dann löschte der Sänger die Lucky-Strike, stieg wieder in seine Birkenstock-Sandalen, und die Band machte Platz für Townes Van Zandt.

Der Altmeister der untertourigen Melancholie, dünn und hager, sieht aus wie einer, mit dem man am Bahnhofskiosk jederzeit einen Jägermeister kippen würde. Und seine Songs klingen wie die Geschichten, die man dabei erzählt. "Mei, ist der traurig", sagt eine Frau am Tisch. Früher soll Van Zandt in Konzerten bei manchen Liedern geweint haben. Das tut er jetzt nicht mehr, aber es hört sich immer noch so an. Frau weg, Freunde weg, Hoffnung weg - wenn Van Zandt mit seiner Gitarre auf der Bühne hockt und mit sonorer Stimme die Nachtseiten eines Tramperlebens auspackt, wird's still im Saal. Da überbrüht einer nicht einfach noch einmal den üblichen ausgewaschenen Satz amerikanischer Müthen. "The road's a friend of mine", das mag sein, aber sie führt nirgendwo hin. Das Glück erschöpft sich bei Van Zandt in einem flüchtigen Lächeln, einer Berührung.

Der Mann hat den Blues. Das ist traurig und rabenschwarz und gut. Van Zandt singt von Bergarbeiter-Töchtern, die als Nutte enden und Leuten, die weggehen und nicht wiederkommen. Und wir sitzen da mit unserer See-Sonnenbräune, dem Weißbier und der Rückfahrkarte in der Hosentasche und tun so, als glaubten wir an gebrochene Herzen.

Übrigens - Van Zandt kommt im Herbst wieder. Ein absoluter Pflichtermin, den man sich vormerken sollte.

Münchner Merkur - 2.8.95